Grundkenntnisse über Funktion, Ernährung und Aufbau der Muskulatur sollten Allgemeinwissen eines Reiters sein. Nur eine gesunde, physiologisch richtig aufgebaute Muskulatur kann in einem geordneten Zusammenspiel arbeiten und nur dann erreicht man ein losgelassenes, taktreines und schwungvolles Gangbild. Erst, wenn man sich der Zusammenhänge bewusst ist, kann man die großen Muskelgruppen schonend, aber effektiv aufbauen, dabei die Bewegungsfreude des Pferdes erhalten und sowohl Koordination als auch Kondition fördern.
Die Muskulatur des Pferdes erfüllt verschiedene Funktionen. Sie gibt dem Körper seine Form, sie schützt Nerven und Organe und sie ist das aktive Organ der Bewegung. Das Skelett hingegen ist lediglich ein an den Gelenken beweglicher Rahmen. Die Aufgabe der aktiven Bewegung übernimmt allein die Skelettmuskulatur.
Für den Reiter ist nurder Aufbau der Skelettmuskulatur von Bedeutung, die auch alswillkürliche Muskulatur bezeichnet wird (im Gegensatz zurMuskulatur der inneren Organe, die nicht willkürlich gesteuertwerden kann).
Denoix/Pailloux, Physiotherapie und Massage beiPferden, 1 Aufl. 2000
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Das Pferd hat ca. 250 paarige, also beidseitig vorhandene, und einige unpaarige Muskeln in verschiedenen Formen und Größen. So gibt es fleischige und sehnige Muskeln. Die Bauchwand z.B. ist von flachen und sehnigen Muskelplatten bedeckt. Die meisten Muskeln sind allerdings eher fleischig und spindelförmig. Sie haben einen dicken Muskelbauch der sich zu beiden Enden hin verjüngt und in fibröse Stränge über geht, die Sehnen. Die Sehnen wiederum verankern den Muskel in der Knochenhaut und stellen so die Verbindung zwischen Muskel und Knochen bzw. Skelett her.
Der Muskelbauch besteht aus unzähligen Muskelfasern, die von einer Bindegewebshülle (Faszie) umgeben sind. Die Muskelfaserbündel und auch der ganze Muskel sind ebenfalls wiederum von einer Faszie umhüllt, die dem Muskel Stütze gibt und ihn von seiner Umgebung trennt.
Wanless, Zum Wohle des Pferdes, 1. Aufl.1999
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Knochen bilden das Skelett und fungieren als Hebel, die durch Muskelkontraktion bewegt werden. Die überwiegende Anzahl der Muskeln ist an zwei oder mehreren Knochen des Skeletts angeheftet und zieht über ein oder mehrere Gelenke hinweg. Je nach ihrer Lage zu den Gelenken und je nach Tätigkeit werden die Muskeln als Beuger oder Strecker bezeichnet. Der Muskel im folgenden Beispiel ist ein Beuger. Zieht er sich zusammen, dann schließt er das Gelenk aktiv. Geöffnet wird das Gelenk von einem anderen Muskel, einem sogenannten Strecker. Der hier abgebildete Muskel bleibt dabei passiv, d.h. er muss nur dehnungsbereit sein.
Wanless, Zum Wohle des Pferdes, 1. Aufl.1999
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Da Muskeln und Sehnen eine funktionelle Einheit bilden, kann man bei der Betrachtung der Muskulatur zwangsläufig das Thema Sehnen nicht außeracht
lassen. Den Pferdesehnen wird nicht zu unrecht nachgesagt, die Stärksten im Tierreich zu sein. Die längste und bekannteste Pferdesehne ist die tiefe Beugesehne, die vom Vorderfußwurzelgelenk bzw.
Sprunggelenk am hinteren Rand der Röhrbeine entlang über das Fesselgelenk und das Strahlbein bis zum Hufbein reicht. Im gespannten Zustand ist sie derart fest, dass man sie mit einem Knochen
verwechseln könnte.
Trotz ihrer beachtlichen Stärke sind die Sehnen aber nicht wirklich so elastisch, wie gemeinhin angenommen wird. Die Dehnfähigkeit von Sehnen beträgt maximal 10%. Jegliche Dehnung darüber hinaus muss aus dem dazugehörigen Muskel kommen. Die Ursache für Sehnenverletzungen liegt daher häufig in einer Muskelermüdung. Da die Sehne nichts anderes als die Verlängerung des Muskels ist, kann sie bei einem nicht optimal trainierten und daher auch nicht ausreichend dehnungsfähigem Muskel in Mitleidenschaft gezogen werden. Kritische Situationen sind nicht nur die Landung nach dem Sprung, sondern auch unebenes Gelände, unkoordinierte Bewegungen oder die pure Lebensfreude auf der Koppel. Daher ist eine gut trainierte, aber auch lockere Muskulatur der beste Schutz der Sehnen vor Überdehnungen.
Muskeln sind die eigentlichen Schwerarbeiter des Körpers und müssen deshalb immer ausreichend mit Nahrung versorgt werden. Eine gute Durchblutung
ist somit das A und O der Muskelarbeit, damit über die Arterien viel sauerstoffreiches Blut geliefert werden kann. Sauerstoff wird für einen chemischen Prozess im Muskel benötigt, bei dem
Traubenzucker in Energie umgewandelt wird. Nur mit ausreichend Sauerstoff können Muskeln leistungsfähig, d.h. aerob arbeiten. Damit der Muskel entsprechend seiner physiologischen Aufgabe arbeiten
kann, muss er in einem rhythmischen Wechsel zwischen Kontraktion und Dehnung bewegt werden. Dies fördert die Durchblutung und damit Versorgung mit Sauerstoff und Nährstoffen und die Entsorgung
von Stoffwechselschlacken. Je besser dies gewährleistet ist, desto leistungsfähiger ist die Muskulatur und desto geringer ist die Muskelermüdung und damit das
Verletzungsrisiko.
Die gute Versorgung mit Nähr- und Mineralstoffen ist für den Ablauf derchemischen Stoffwechselvorgänge in den Muskelfaserzellen notwendig. Muskelfasern werden zur aktiven Tätigkeit durch einen elektrischen Impuls aus dem Gehirn gereizt. Dabei verbinden sich zwei Eiweißarten (Myosin und Actin) und der Muskel zieht sich zusammen. Die Entspannung des Muskels ist eine chemische Reaktion, bei der mit Hilfe von Calcium und Magnesium diese Verbindung wieder getrennt wird. Man sollte deshalb gerade bei Pferden, die zu Muskelproblemen neigen, die Nährstoffzusammensetzung des Futters überprüfen.
Schlechte Durchblutung und eine Unterversorgung mit Sauerstoff führen zu einer sog.Sauerstoffschuld: Der Muskelarbeitet
dann anaerob und produziert statt Energie Stoffwechselabfallprodukte wie z.B. CO2 und Milchsäure. Dies führt zu einer schnelleren Muskelermüdung und zueiner Ansammlung von Milchsäure, die die
Muskelfasern verklebt. Daraus entstehen am nächsten Tag Muskelkater und Steifheit. Passiert dies wiederholt über einen längeren Zeitraum, so verspannt und verkürzt sich der gesamte
Muskel.
Jeder Muskel wächst durch Arbeit, da die starke Durchblutung den Aufbau von Muskelsubstanz fördert. Dieser muss allerdings langsam und systematisch erfolgen, da eine Überforderung zu einer Dauerkontraktion, einer Dauerspannung im Muskel führen kann, welche wiederum die Durchblutung vermindert.
Muskelkater
Jeder von uns hat schon einmal die
schmerzhafte Erfahrung eines heftigen Muskelkaters gemacht. Auch dem Pferd geht es nicht anders. Wird de rMuskel zu einer falschen und krampfhaften Arbeitsleistung
gezwungen,beginnt er zu schmerzen und zu brennen.
Neuere Forschungserkenntnisse gehen davon
aus, dass es bei Überlastung der Muskelfasern zu Mikrorissen im Gewebe kommt. Um diese Verletzungen zureparieren schickt der Körper verstärkt Lymphflüssigkeit zu
denbetroffenen Stellen. Die dabei auftretende Schwellung hat nichts mitMuskelaufbau zu tun, sondern ist zum einen eine Verkrampfung und zumanderen eine Ansammlung von
Lymphflüssigkeit, die wiederum schmerzhaftauf die Nervenenden drückt.
Einphysiologisch richtig trainierter Muskel
nimmt langsam und gleichmäßigan Umfang zu, bleibt dabei jedoch geschmeidig und locker. DieLeistungsfähigkeit des Muskels entsteht aus seiner Dehnungsfähigkeit.Nur ein optimal
dehnbarer Muskel kann sich auch entsprechend kräftigzusammenziehen und dadurch Leistung bringen. Ein verspannter Muskel istbereits verkürzt, kann sich daher nicht mehr so
stark zusammen ziehenund wird deshalb deutlich weniger Leistung und Bewegung erzielen. Kommtes aber doch einmal zu einem Muskelkater gibt es verschiedeneMöglichkeiten die Regeneration zu beschleunigen. Alles was dieDurchblutung anregt, wie zum Beispiel Wärme, Massagen oder leichteBewegung sind hilfreich um die Verspannungen zu lösen und dieverletzten Muskelfasern zu regenerieren. |
Die Muskeln des Pferdes arbeiten in großen Muskelgruppen zusammen, welche wiederum ständig in einer funktionalen Beziehung zueinander stehen. Wird nur ein Muskel in diesem System in seiner freien Tätigkeit gestört, kann das weitreichende Auswirkungen haben. Nur das harmonische Zusammenspiel aller Muskelgruppen führt zu einem ausdrucksstarken und harmonischem Gangbild und Freude an der Bewegung.
Quelle: Bürger/Zietzschmann, Der Reiter formt dasPferd, 2. Aufl. 2004 |
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Auf die Bedeutung der Halsmuskulatur für die Funktion von Nacken-
und Rückenband und somit auch für den Rücken wurde in der letzten Ausgabe ausführlich eingegangen. Gerade für das junge oder auch untrainierte Pferd ist der Muskelaufbau im Halsbereich besonders
wichtig. Das Pferd benutzt den Hals als Balancierstange, um den
Reiter zu tragen. In Dehnungshaltung trägt das Pferd den Kopf und Hals in natürlicher Haltung und entlastet damit den Rücken. In der relativen Aufrichtung muss es seine Nacken- und
Halsmuskulatur zu Hilfe nehmen, um damit Nacken- und Rückenband zu spannen und die Muskulatur des Rückens frei schwingen zu lassen. Gerade an der Entwicklung der Halsmuskulatur kann der Reiter
gut erkennen, ob er mit der Ausbildung seines Pferdes auf dem richtigen Weg ist. Die Nacken- und Oberhalsmuskulatur nimmt durch ihre tragende Tätigkeit dann deutlich an Umfang zu, wo hingegen die
Muskeln im Bereich des Unterhalses nicht aktiv arbeiten müssen und daher nicht stärker werden. Eine ausgeprägte Unterhalsmuskulatur ist immer ein sichtbares Zeichen dafür, dass das Pferd im Hals
nicht locker ist und dass es unter dem Reiter versucht, den Rücken weg zudrücken.
Es gibt noch ein weiteres sichtbares Zeichen dafür, dass der
Reiter mit der Ausbildung seines Pferdes auf dem richtigen Weg ist:
Eine bei jungen oder untrainierten Pferden vorhandene dreieckige
Vertiefung vor dem Schulterblatt wird ausgefüllt und im günstigsten Fall sogar zu einer deutlichen Erhebung. Bei allem Training ist jedoch immer Vorsicht geboten. Gerade die Halsmuskulatur neigt
bei Überforderung dazu, schnell zu ermüden und zu schmerzen. Um dies zu verhindern, muss das Pferd immer wieder die Möglichkeit bekommen, seine Halsmuskulatur in der Dehnungshaltung zu
entspannen. Besondere Vorsicht gilt allen Arten von Hilfszügeln, die den Hals lange Zeit in eine unveränderliche Haltung zwingen und dem Pferd damit erhebliche Schmerzen zufügen
können.
Der lange Rückenmuskel ist einer der größten Muskeln des
Pferdekörpers. Er besteht aus vielen kleineren Muskelplatten, die hinten am Kreuzbein entspringen und nach vorne unten zu den Brustwirbeln ziehen. Dieser Muskel ist paarig und erfüllt viele
Funktionen. Zieht er sich z.B. einseitig zusammen, dann biegt er den Rücken. Im Trab hingegen werden beide Muskeln wechselweise an- und abgespannt. Im Galopp wiederum arbeiten beide Muskeln
nahezu gleichzeitig. Der rhythmische Wechsel zwischen Kontraktion und Dehnung hat sich bei vielen Pferden mit festem Rücken in der Lösungsphase gut bewährt.
Der lange Rückenmuskel ist ein ausgesprochener Bewegungsmuskel.
Seine Aufgabe ist die Fortbewegung und nicht das Tragen des Reiters. Er ist sowohl mit der Kruppenmuskulatur, als auch mit den großen Muskelgruppen der Vorhand verbunden. Daher ist ein freier und
raumgreifender Gang nur möglich, wenn der Rückenmuskel frei schwingen kann und nicht durch einen schlecht ausbalancierten Reiter oder einen unpassenden Sattel gestört wird.
Gerade die Passform des Sattels ist für die Funktion der
Muskulatur von enormer Bedeutung, dazu enge Kammern oder ungleichmäßige Druckverteilung weitreichende Auswirkungen haben können. In Bereichen mit hohem Druck wird die Blutzirkulation
vermindert oder schlimmstenfalls ganz blockiert. Diese Unterversorgung mit Sauerstoff lässt den Muskel verkümmern (atrophieren) und verursachtdem Pferd Schmerzen.
Zu Beginn jeden Reitens ist daher darauf zu achten, dass das Pferd losgelassen über den Rücken geht. Entlastungssitz, leichtes Traben, Galopparbeit und Reiten auf gebogenen Linien fördern die Losgelassenheit des Rückenmuskels und den systematischen Aufbau der Muskulatur.
Quelle: Wanless, Zum Wohle des Pferdes, 1. Aufl.1999 |
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Die Vorhand des Pferdes ist von Natur aus darauf eingerichtet, zu
tragen, aufzufangen, zu federn und auszubalancieren. Das Pferdeskelett besitzt keine knöcherne Verbindung zwischen Rumpf und Vorhand. Diese normalerweise vom Schlüsselbein übernommene Aufgabe
würde der enormen Belastung auch nicht stand halten können. Der Rumpf des Pferdes hängt wie eine Hängematte zwischen den Schulterblättern und wird nur von Muskeln, Sehnen und Bändern gehalten.
Daraus entsteht eine natürliche Federung der Vorhand, die nicht nur bei der normalen Fortbewegung wichtig ist, sondern vor allem in unebenem Gelände und bei der Landung nach dem Sprung. Die
Vorhand des Pferdes ermüdet beim Stehen nicht, da die Beugesehnen mit Hilfe ihrer Unterstützungsbänder einen selbstständigen Sehnenapparat bilden der es dem Pferd ermöglicht ohne aktive
Muskelarbeit ermüdungsfrei zu stehen.
Beim Training der Vorhand ist es entscheidend, die Muskulatur des Oberarmes und der Schulter aufzubauen.Ist diese übergeordnete Muskulatur leistungsfähig, locker und dehnungsbereit, dann ist dies der beste Schutz für den Sehnenapparat der Vorhand. Ist diese Muskulatur allerdings hart undverspannt, kann sie ihre natürliche Aufgabe des Abfederns nicht mehr übernehmen. Der „Stoßdämpfer“ Schultermuskulatur funktioniert dann nicht mehr und als Folge dessen entsteht eine deutlich größere Verletzungsgefahr für Gelenke und Sehnen.
Die Hinterhand ist von Natur aus für die Vorwärtsbewegung verantwortlich. Sie hat im Kreuz-/Darmbeingelenk eine Verbindung zur Wirbelsäule, über die der Schub von hinten nach vorne übertragen wird. Die federnde Bewegung der Hinterhand wird über die Beugung der Hinterhand, die sogenannte Hankenbiegung erreicht. Dabei sind Kniegelenk und Sprunggelenk durch zwei rein sehnige Spannbänder miteinander verbunden, die eine Streckung oder Beugung dieser Gelenke nur zusammen zulassen. Dieser Beugegang stellt eine hohe Beanspruchung der Hinterhandmuskulatur dar und ist für das Pferd sehr anstrengend. Dies ist der Grund warum sich viele Pferde dem hartnäckig widersetzen. Es erfordert einen langen und systematischen Muskelaufbau bis sie die muskulären Vorraussetzungen aufweisen, um die Hankenbiegung länger tragen zu können.
Die Bauchmuskulatur besteht aus großen sehnigen Platten. Sie ist kein Bewegungsmuskel, sondern schließt die Leibeshöhle und unterstützt die Atmung. In angespanntem Zustand unterstützt sie auch den Rücken. Die Bauchmuskulatur wird am besten durch Galopparbeit und Cavalettigymnastik trainiert.